Die folgenden Hinweise sollen Lehrpersonen und Schulsozialarbeitende im weiteren Vorgehen unterstützen, wenn bei einer Schülerin oder. einem Schüler ein Verdacht auf eine Essstörung besteht oder andere problematische Verhaltensweisen beobachtet werden.
Schülerinnen und Schüler, die aufgrund bestimmter Symptome oder Verhaltensweisen bereits auffällig geworden sind, müssen darauf angesprochen werden. Bevor Sie als Lehrperson oder Schulsozialarbeiterin resp. Schulsozialarbeiter dies tun, braucht es eine sorgfältige Vorbereitung.
1. Vorbereitung
- Wahrnehmen und beobachten
Menschen senden in kritischen Situationen, bewusst oder unbewusst, Signale aus. Diese können mehrdeutig sein: Hilfeschrei, Provokation, Abgrenzungsversuch oder Ohnmachtsgefühl. Es ist wichtig, dass Sie Warnhinweise als solche erkennen, seien es verschlüsselte oder unverschlüsselte Botschaften. - Überprüfen und beobachten
Überprüfen Sie Ihre Wahrnehmungen, indem Sie mit Kolleginnen und Kollegen das Gespräch suchen. Reagieren Sie nicht überstürzt und planen Sie ausreichend Zeit ein, in sich hineinzuhören und auf Ihre Gefühle in dieser Angelegenheit zu achten.
Notieren Sie sich systematisch Beobachtungen, die sich auf den schulischen Rahmen beziehen. Verzichten Sie auf Vermutungen und Hypothesen. Das erleichtert Ihnen, nachweisbare Fakten von Ihren Gefühlen und Gedanken zu trennen. Diese Beobachtungen können für den nächsten Schritt, der Vorbereitung eines Gesprächs mit der Schülerin, dem Schüler oder den Eltern, hilfreich sein. - Klären und unterstützen
Versuchen Sie, in dieser oft kritischen Phase der Beziehung möglichst objektiv zu bleiben. Der Einbezug und die Überprüfung verschiedener Sichtweisen können dabei helfen, die Realität nicht aus den Augen zu verlieren. Setzen Sie sich neben der eigenen auch mit anderen, zum Teil widersprüchlichen Sichtweisen von Kolleginnen und Kollegen oder Fachpersonen auseinander. - Vereinbaren und begleiten
Halten Sie konkrete, klare und für alle verständliche Ziele schriftlich fest. Diese Ziele beschreiben einerseits den gewünschten und anderseits den akzeptablen Zustand nach einer oder mehreren Interventionen innerhalb einer bestimmten Frist. Einfache Kriterien bzw. konkrete Indikatoren, die anzeigen, ob das Ziel erreicht worden ist oder nicht, helfen später dabei, Bilanz zu ziehen.
2. Klärungsgespräch
Wenn Sie mit Ihrer Schülerin oder Ihrem Schüler über Ihre Beobachtungen und Besorgnisse sprechen möchten, beachten Sie, dass die betroffene Person nicht froh ist, wenn Sie Ihre Vermutung äussern. Sie wird Ihnen unter Umständen sehr abweisend gegenüberstehen und eventuell kühl reagieren. Gerade bei Essstörungen leiden Menschen unter grossen Scham- und Schuldgefühlen. Allein durch das Ansprechen decken Sie ein eventuell lang gehütetes Geheimnis auf.
Konkretes Vorgehen bei dem Verdacht einer Essstörung:
- Sprechen Sie die Schülerin resp. den Schüler alleine an, ohne dass andere Klassenkameraden zuhören, auch wenn es gute Freunde des Schülers resp.der Schülerin sind.
- Sprechen Sie nur über Ihre Wahrnehmungen, Beobachtungen und Ihre Besorgnisse (Gewicht, Verhalten, soziale Isolation in der Klasse, depressive Verstimmungen, sozialer Rückzug usw.).
- Zeigen Sie Verständnis für das von Ihnen beobachtete Essproblem, ohne dieses Verhalten gutzuheissen.
- Übernehmen Sie, bei allem Verständnis für die Schwierigkeiten der oder des Jugendlichen, nicht die Verantwortung für ihr oder sein Verhalten.
- Wenn Sie die Eltern der betroffenen Person mit einbeziehen wollen, sprechen Sie zuerst mit ihr darüber und informieren Sie sie über geplante weitere Schritte. Machen Sie nichts «hinter dem Rücken» der resp. des Jugendlichen.
- Beziehen Sie soweit wie möglich auch Ihr pädagogisches Kollegium mit ein.
- Holen Sie sich Unterstützung und Beratung bei der Schulsozialarbeit.
- Suchen Sie sich eventuell auch extern fachliche Unterstützung und nehmen Sie mit Beratungs- und Fachstellen Kontakt auf. Als pädagogische Fachperson dürfen Sie keine therapeutischen Aufgaben übernehmen.
- Holen Sie Informationen über Hilfsangebote für Betroffene ein und machen Sie die Schülerin resp. den Schüler darauf aufmerksam, ohne sich aufzudrängen.
- Seien Sie sich bei allen Schritten, die Sie unternehmen, klar über mögliche Konsequenzen (z. B. ein Gespräch mit den Eltern, Informationen an die Schulsozialarbeit, die Schulleitung, den Schulärztlichen oder den Schulpsychologischen Dienst).
- Treffen Sie verbindliche Abmachungen.
- Informieren Sie über mögliche Konsequenzen (z. B. «Ich mache mir Sorgen um dich. Wenn du nicht mit deinen Eltern sprichst, muss ich sie über meine Beobachtungen in Kenntnis setzen»).
Nachbearbeitung
Es gibt keine Garantie, dass Gespräche positiv enden und Gesprächsziele einvernehmlich erreicht werden können. Entscheidend ist die Frage, wie mit den Differenzen umgegangen wird und wie diese auch ausgehalten werden können.
Eine Gesprächsauswertung gibt Hinweise für die Vorbereitung zukünftiger Gespräche und für die Festlegung konkreter Massnahmen. Ziel ist es dabei, Anhaltspunkte über die Wirkung einer Intervention zu erhalten. Das dient vor allem dazu, eventuelle Fehler als solche zu erkennen, damit diese in Zukunft vermieden werden können, aber auch um zu sehen, wo die persönlichen Stärken und Fähigkeiten liegen.
Es kann sein, dass Gespräche mit der resp. dem Jugendlichen und den Eltern nicht fruchten. Aus verschiedenen Gründen (z. B. Auseinandersetzung mit der Essstörung ist für Betroffene und Familie ein grosses Tabuthema) kann mit der Gesprächsintervention und dem Vermitteln von unterstützenden Massnahmen kein Fortschritt erzielt werden. Wird die Selbstgefährdung des Betroffenen aus Sicht der Schule trotzdem als relevant eingestuft, kann eine Gefährdungsmeldung an die Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde (KESB) in Betracht gezogen werden. Dies muss gegenüber der Familie transparent gemacht werden. Je nach Schulorganisation muss für die Gefährdungsmeldung die Schulleitung oder die Schulbehörde involviert werden.