Ob Stress in einer Schule ein ernst zu nehmendes Phänomen ist, lässt sich auf drei verschiedenen Ebenen feststellen:
1. Individuum: an körperlichen, seelischen oder sozialen Reaktionen einzelner Lehrpersonen
2. Arbeit: am Geschehen im Unterricht oder im Teamzimmer
3. Organisation: an erfassten Daten und Kennzahlen
Für die Früherkennung sind akute, individuelle Stresssymptome, wie sie oben beschrieben sind, relevant. Die eigenen Reaktionen zu kennen und auf sie zu hören, sind die wesentlichsten Aspekte des individuellen Frühwarnsystems. Was aber, wenn die Angst vor dem Nicht-Genügen oder das Gefühl der Überforderung nicht nur in einzelnen Situationen auftaucht? Wenn Stress dauerhaft und unvermindert anhält, ist er sowohl für die persönliche Gesundheit als auch für das Geschehen im Unterricht schädlich. Dies hat dann mit «gesunder Herausforderung» und «viel Arbeit» nichts mehr zu tun.
Gestörte Beziehungen und sinkende Unterrichtsqualität
Bei Karl S. kippt sein über all die Jahre gut funktionierendes Gleichgewicht allmählich. Seine Entwicklung scheint typisch für den Beruf. Untersuchungen bescheinigen den Lehrpersonen eine eher hohe Verausgabungsbereitschaft, verknüpft mit einer eher geringen Distanzierungsfähigkeit. Diese Kombination kann auf Dauer zu emotionaler Erschöpfung und zur Reduktion der Bereitschaft führen, sich mit den Schülerinnen und Schülern konstruktiv auseinanderzusetzen. Auf jedes Nicht- Funktionieren, jede Störung durch einen Schüler, eine Schülerin wird mit innerer oder äusserer Aggression oder Abwendung reagiert. Damit leidet die Qualität der erzieherischen Arbeit enorm, da diese ja auf einer lebendigen Beziehung und der täglichen Auseinandersetzung basiert.
Karl S. ist sich dieser Zusammenhänge durchaus bewusst. Sie machen ihm Angst. Seine innere Überzeugung, dass er mit den sich im Alltag stellenden pädagogischen Problemen fertig werden kann (berufliches Selbstwirksamkeitserleben), beginnt mehr und mehr zu bröckeln. Sein erlebtes Ungenügen versucht Karl S. mit vermehrtem Einsatz der bereits schon arg reduzierten Kräfte zu kompensieren. Damit gerät er in einen regelrechten Teufelskreis. Weil ihn seine Bemühungen noch mehr erschöpfen, verstärken sich seine aggressiven oder aversiven Tendenzen. Die Beziehungen zu Jugendlichen verschlechtern sich noch mehr. Disziplinarische Probleme häufen sich, teilweise sinken auch die Leistungen von Schülerinnen und Schülern. Beides schwächt wiederum sein Selbstwirksamkeitserleben.
Zu spätes Handeln
Leider erkennen die Betroffenen in der Regel zu spät, dass sie Hilfe benötigen; häufig erst, wenn der völlige Erschöpfungszustand eingetreten ist. Im günstigsten Fall wird die Schulleitung oder ein Teammitglied auf sie aufmerksam und aktiv, bevor sich Auswirkungen in der Organisation ergeben. Leider wird noch an zu vielen Schulen erst gehandelt, wenn sich Entwicklungen wie bei Lehrer Karl S. häufen und die Organisation belasten. Geht man davon aus, dass im Normalfall eine von Burnout betroffene Person vom Beginn der Erkrankung bis zur Behandlung noch rund neun Monate arbeitet, wird klar, wie gross der potenzielle Schaden ist, der auch dem Arbeitgeber entstehen kann.
Organisationale Auswirkungen
Bei Karl S. hat auch bereits ein Prozess der inneren Kündigung eingesetzt. Er wendet sich nicht nur von seinen Schülerinnen und Schülern ab, sondern auch von der Schule oder dem Lehrerberuf. Sein Stresserleben macht sich in der Zusammenarbeit mit dem Team durch zynische Bemerkungen, Rückzug aus dem Engagement für die Schule und durch vermehrte Konflikte bemerkbar. Karl S. entwickelt sich zum «aktiv Unengagierten», der sich gegen jegliche Neuerung stemmt und seine Energien dafür verwendet, Entwicklungen zu behindern und «Sand ins Getriebe» zu streuen. Herrn Karl S'Schule geht schleichend das Engagement und das Know-how eines erfahrenen Mitarbeiters verloren.
Steigende Fehlzeiten und Personalwechsel
Vielerorts wird man erst aufmerksam, wenn Lehrpersonen wegen Erschöpfungszuständen oder Burnout krankgeschrieben werden. Oder man realisiert, dass etwas nicht mehr stimmt, wenn die Fluktuation steigt und es sich als schwierig erweist, qualifizierte Lehrkräfte zu finden. Sowohl Absenzen als auch Fluktuation sind mit Kosten und erheblichem Mehraufwand für das Kollegium, Schulleitungen und Personalkommissionen verbunden.